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Das Gerichtswesen im Elbe-Weser-Raum

Die Rechtsprechung war im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit geprägt durch

  • eine große Zersplitterung in Ämtern, Vogteien, Niedergerichten
  • das Fehlen einer zentralen staatlichen Obergerichtsbarkeit

Ursache der Fülle von zum Teil konkurrierenden Gerichtseinrichtungen war, daß Rechtsprechung zu den Herrschaftsrechten gehörte, die feudale Grundherren ebenso wie Bauernrepubliken, landesherrliche Amtsleute ebenso wie die wenigen Städte beanspruchten und ausübten. Die Richter brauchten die Gewalt zur Durchsetzung ihrer Urteile.

Diese Untergerichte umfaßten sehr abweichende Gerichtsbezirke und hatten auch sehr unterschiedliche Kompetenzen, die bis zur Peinlichen Halsgerichtsbarkeit reichten. Typisch war auch, daß die Stände – Adel, Geistliche und Städte – den Untergerichten nicht unterworfen waren. Für ihre Rechtsstreitigkeiten wurde 1435 ein Landtagsgericht geschaffen, das dreimal im Jahr in Basdahl tagte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde außerdem ein Hofgericht eingerichtet, das zweimal jährlich in Bremen und in Stade zusammentrat. Der Landesherr besetzte das Präsidentenamt und stellte die Schreibstube, während die Stände die Beisitzer, die Assessoren, für das Gericht schickten.

Das eigentliche landesherrliche Gericht war die erzbischöfliche Kanzlei in Bremervörde, gleichzeitig und überwiegend oberste Verwaltungsbehörde des Erzstifts. Innerhalb der Kanzlei wurde ein Justizkollegium mit einem eigenen Büro gebildet. Die Kanzlei war damit auch Konkurrentin des Hofgerichts, das vom stiftbremischen Adel beherrscht wurde, und konnte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts als oberes Gericht durchsetzen. Der Adel schuf sich daher ein eigenes Rittergericht für die Streitigkeiten seiner Mitglieder.

Schließlich wurde als Appellationsgericht noch ein Oberlandgericht bei der Kanzlei geschaffen, das von den Ständen besetzt wurde, sich aber nicht eigentlich durchsetzen konnte. Meist appellierte man lieber direkt an das Reichskammergericht.

Letztlich kennzeichnete damit der Dualismus zwischen Ständen und Lan-desherrn auch das Gerichtswesen, wobei sich oberhalb der Untergerichte die landesherrliche Kanzlei durchzusetzen begann.

Die Justizkanzlei als zentrales Obergericht 1652

Im Februar 1645, am Ende des 30jährigen Krieges, besetzten schwedische Truppen unter Hans-Christoph von Königsmarck das Erzstift Bremen und das Stift Verden, deren Besitz als Herzogtümer im Verband des Deutschen Reiches dem Königreich Schweden im Westfälischen Frieden 1648 zugesprochen wurde.

Mit der Übernahme der Herrschaft endete auch die Tätigkeit der ständischen Gerichte, die Kanzlei zog ihre Rechtsgeschäfte weitgehend an sich. Die neue Schwedische Regierung hatte außerdem in der Stadt Stade die Zentrale für beide nun säkularisierten Herzogtümer Bremen und Verden geschaffen.

Mit der Neuordnung der Verwaltung wurde 1649 durch die sogenannte Einrichtungskommission begonnen, deren Arbeit sich allerdings bis 1652 hin-zog. Erst die Regierungsordnung vom 20. Juli 1652 legte fest, daß getrennte Kollegien für Regierung, Justiz und geistliche Angelegenheiten eingerichtet werden sollte.

Die damit geschaffene Justizkanzlei war das zentrale Obergericht für beide Herzogtümer. Auch wenn sie formal von der Verwaltung getrennt war, stand sie doch unter dem Vorsitz des Kanzlers, der gleichzeitig Vizepräsident des Regierungskollegiums war, und unterlag den Weisungen der Kanzlei. Zu-nächst gehörten dem Gremium außer dem Kanzler noch vier Justizräte, akademisch gebildete Juristen, an, später wurde ihre Zahl aus finanziellen Gründen reduziert.

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Die Justizkanzlei blieb aber nicht das einzige Obergericht. Daneben wurde 1668 das Hofgericht wiedereröffnet, dem neben den Justizräten noch einige ständische Vertreter als "Hofgerichtsassessoren" angehörten. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 1828, wurde das Hofgericht mit der Justizkanzlei vereinigt.

Diese noch unfertige Gerichtsordnung der Schwedenzeit blieb auch in Hannoverscher Zeit erhalten. Die Untergerichte behielten ihre Funktionen, nur ihre Zahl und damit auch die Ausdehnung der jeweiligen Gerichtsbezirke veränderte sich mit der kontinuierlichen Reduzierung und Zusammenfassung von Verwaltungsbezirken.

Die Trennung von Justiz und Verwaltung 1852

Eine der dauerhaften Folgen der März-Revolution 1848 war die Trennung von Justiz und Verwaltung, die bereits durch das Gesetz vom 5. September 1848 festgelegt worden war.

Die Grundlage für die Durchführung schuf das Gerichtsverfassungsgesetz vom 8. November 1850. Die Justizkanzlei wurde in ein Obergericht verwandelt. Durch das Gesetz vom 7. August 1852 traten die Amtsgerichte ins Leben, das Stadtgericht Stade beispielsweise mit seinen jahrhundertelang sehr weitreichenden Kompetenzen wurde aufgelöst. Vollständig neu war die Einrichtung einer Staatsanwaltschaft als Vorermittlungs- und Anklagebehörde.

Am 1. Oktober 1852 wurde das neue Obergericht Stade eröffnet, und auf dem Gebiet der heutigen Stadt Stade traten zwei neue Amtsgerichte ins Leben, das Amtsgericht Stade, das das Stadtgericht ablöste, und das Amtsgericht Bützfleth, das für das Gebiet des Amtes Stade-Agathenburg zuständig war.

Das neue Obergericht Stade war aber kein direkter Nachfolger der Justizkanzlei. Das Gebiet der Landdrostei Stade wurde vielmehr unter drei Obergerichten aufgeteilt, Stade, Verden und Lehe. Das Obergericht Lehe wurde allerdings bereits 1859 aufgehoben.

Die 1852 gebildeten Obergerichte bestanden allerdings nur gut 25 Jahre. Auf der Grundlage des neuen Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877 wurden nun Landgerichte und Oberlandesgerichte gebildet. Dabei stand der Erhalt des Landgerichts Stade durchaus auf Messers Schneide.

Nach den Plänen der Regierung sollte Stade keinen Landgerichtssitz erhalten, der Obergerichtsbezirk sollte vielmehr im wesentlichen dem Landgericht Verden angegliedert werden. Dieser im Herbst 1877 vorliegende Regierungsentwurf löste sofort nach seinem Bekanntwerden einen Sturm der Empörung in Stade aus.

Dem vereinten Widerstand der Region gelang es jedoch, in den Kommissionsberatungen das Gesetz hier entscheidend zu verändern. Durch Gesetz vom 4. März 1878 wurde auch in Stade ein Landgericht errichtet, zu dem neben dem Kreis Stade auch die späteren Kreise Bremervörde, Otterndorf, Neuhaus/Oste und Zeven sowie außerhalb des Landdrosteibezirks das Amt Tostedt sowie Amt und Stadt Harburg gehörten.

Insofern besteht das Landgericht Stade heute (2002) erst knapp 125 Jahre.

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Die Gerichtsgebäude

Das Obergericht war in der alten Justizkanzlei an der Archivstraße eingerichtet worden, und weil das Gebäude nicht ausreichte, hatte man ein Gebäude an der Ritterstraße hinzugekauft und in den Hof an der Ritterstraße durch einen Neubau erweitert.

Beide neuen Amtsgerichte Stade wie auch Bützfleth waren in dem 1840/41 errichteten Hauptgefängnis an der Gründelstraße eingerichtet worden. Das Schwurgericht schließlich tagte im großen Festsaal des Rathauses.

Obwohl das Amtsgericht Bützfleth bereits 1859 aufgelöst worden war, wurde das Amtsgericht und Gefängnis bald zu klein und mußte 1889 durch einen rückwärtigen Anbau erweitert werden.

Nach 1900 setzten die Planungen für einen Neubau ein. Bereits im Jahr 1901 wurde das ältere Gebäude des Obergerichts abgerissen, und das Landgericht siedelte vorübergehend in das alte Gymnasium am Pferdemarkt, das spätere Peter-Harms-Stift um. Nach dem Abbruch stellte man allerdings fest, daß der geplante Neubau zu klein sein würde, und das ganze Vorhaben geriet ins Stocken. In dieser Zeit versuchte Harburg noch einmal, den Sitz des Landgerichts an sich zu ziehen.

Durch den Zukauf eines Gebäudes am Wilhadikirchhof – zu dem die Stadt Stade einen Zuschuß von 10.000 Mark gab – war es möglich, nun einen großzügigeren Neubau an der Ecke Ritterstraße/Wilhadikirchhof im historisierenden Stil – der Spätrenaissance im Übergang zum Barock – zu planen, dessen Front jetzt zur Kirche gerichtet war. Am 1. Mai 1903 wurde der Grundstein gelegt, und am 1. Oktober 1905 konnte das neue Gerichtsgebäude am Wilhadikirchhof feierlich eröffnet werden.

Im Hauptgebäude bezogen das Amtsgericht das Erdgeschoß, das Landgericht das Obergeschoß und die Staatsanwaltschaft das zweite Stockwerk. Im Osten an das Hauptgebäude angeschlossen war das alte, durch einen Neubau erweiterte Hilfsgefängnis mit insgesamt 29 Zellen für Einzelhaft.

Schmuckgrafik (zum Artikel: Grußwort)   Bildrechte: Landgericht Stade

Landgericht Stade

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